Die zweite Runde des Verfahrens gegen das sogenannte „Aktionsbüro Mittelrhein“ ist vorbei und das noch bevor es richtig losgegangen ist. Für uns Angeklagte eine große Nachricht mit der wir eigentlich nicht gerechnet hatten. Hintergrund des frühen Scheiterns dieses Verfahrensaufgusses ist, daß eine Besetzungsrüge gegriffen hat.
Unsere Skepsis, ob die der Kammer bereits vor Verfahrensbeginn angekündigte Besetzungsrüge greifen würde, lag nicht darin begründet, daß wir an der Substanz gezweifelt hätten, sondern war geprägt von unseren Erfahrungen. In Koblenz scheinen juristische Probleme nämlich oft erstmal einfach beiseite gewischt zu werden.
Schon im ersten Verfahrenzug gab es Besetzungsrügen und mindestens eine davon war so substanziell, daß der Bundesgerichtshof unserer mit Sicherheit auf ein Urteil folgenden Revision – ganz unabhängig von dem sonstigen weiteren Verfahrensverlauf – hätte stattgeben müssen.
Im ersten Verfahrensaufguß kam es bekannterweise nicht zu einem Urteil und die Klatsche vom BGH ist der damaligen Kammer damit erspart geblieben. Es gibt unter den Juristen in unserem Verfahren aber nicht wenige, die den offiziellen Grund für das vorzeitige Ende des ersten Verfahrensaufgusses – also die nahende Pensionierung des Vorsitzenden Richters Göttgen – für vorgeschoben hielten, weil jedes Urteil der Kammer vom BGH wegen der vielen Unstimmigkeiten ohnehin kassiert worden wäre.
Wie peinlich wäre es wohl für die Koblenzer Justiz geworden, die der Spiegel bereits Jahre vorher als das Monte Carlo der deutschen Strafjustiz bezeichnet hatte, wenn das Urteil wegen einer Formalie, die bereits zu Beginn des Prozesses angemahnt worden ist, gescheitert wäre und man dem Steuerzahler hätte erklären müssen, dass die vielen Millionen, die der Prozess bereits im ersten Aufguß gekostet hat, bewußt verbrannt worden sind, weil man unbedingt seinen Dickkopf durchsetzen wollte?
All das ist heute Kaffeesatzleserei, weil der erste Verfahrenszug ein anderes Ende nahm, aber erklärt vielleicht unsere Skepsis hinsichtlich des Umganges der Koblenzer Justiz mit begründeten Einwänden gegen die Verfahrensführung.
Dieses Mal lagen wir aber falsch. Die neue Kammer unter dem Vorsitz des Vizepräsidenten des Landgerichts Koblenz hat zumindest an dieser Stelle souverän entschieden und mit einem Beschluß festgehalten, daß die Besetzungsrüge greift.
In dem Beschluß heißt es wörtlich:
„Es wird festgestellt, daß die 12. große Strafkammer des Landgerichts Koblenz in dem Verfahren (…) nicht ordnungsgemäß besetzt ist.“
Genauer ausgeführt wird es an anderer Stelle wie folgt:
„Die 12. große Strafkammer ist ausweislich des für das Geschäftsjahr 2018 gültigen Geschäftsverteilungsplans als allgemeine Strafkammer besetzt, müßte in hiesigem Strafverfahren zum Aktenzeichen (…) jedoch als Staatsschutzkammer entscheiden, obwohl eine andere Kammer des Landgerichts Koblenz nach der gültigen Geschäftsverteilung für Staatsschutzsachen zuständig ist. Damit liegt unter Berücksichtigung des Konzentrationsgrundsatzes des § 74a GVG eine vorschriftswidrige Besetzung der 12. großen Strafkammer vor.“
Der Vorsitzende Richter Rühmann, den man vor Beginn des Verfahrens mit allerlei Vorschußlorbeeren in der Presse bedacht hatte, verdient damit zumindest an dieser Stelle auch von uns ein Kompliment. Er und der Rest der Kammer haben mit dieser Entscheidung eine Größe bewiesen, die ihre Vorgänger nicht hatten. Zumindest mich hat es überrascht, daß sowas in Koblenz doch möglich zu sein scheint.
Das Koblenz dem Ruf als Monte Carlo der deutschen Strafjustiz auch heute noch gerecht zu werden scheint, läßt sich aber schon jetzt wieder leider recht deutlich aufzeigen. So berichtete die Süddeutsche Zeitung als eine der ersten von der Aussetzung des Prozesses und beruft sich dabei auf die Aussage einer namentlich nicht genannten Gerichtssprecherin.
In dem Artikel heißt es, daß die Kammer die Aussetzung vorsichtshalber angeordnet habe, da unterschiedliche Rechtsauffassungen von Gerichtspräsidium und Kammer zum Geschäftsverteilungsplan zugrunde lägen.
Das deckt sich aber nicht mit dem Beschluß der Kammer. Es gibt keine unterschiedlichen Rechtsauffassungen. Die Kammer hat der Besetzungsrüge recht gegeben. Jede Formulierung, die das nicht klar herausstreicht, ist schlicht und ergreifend falsch. Das Lamentieren der Gerichtssprecherin bzw. des Gerichtspräsidiums für das sie da zu sprechen scheint ist also wieder einmal Augenwischerei, um den angerichteten Schaden nicht klar benennen zu müssen.
Und Schaden ist entstanden. Imageschaden für die Koblenzer Justiz und vor allem bei uns Angeklagten. Wer glaubt, daß ein offensichtlich leichtfertig mit einer nicht ordnungsgemäß besetzten Kammer eröffnetes Verfahren keinen Schaden auslösen kann, irrt.
Das Verfahren wird mit Sicherheit noch einmal eröffnet, wir sind also noch lange nicht durch mit der Nummer. Bis zum Neubeginn, der wahrscheinlich irgendwann im Laufe des Jahres 2019 liegen wird, hat man den Angeklagten mit dem leichtfertigen Neubeginn erneut ihre beruflichen Chancen und eine Teilnahme am normalen Arbeitsleben genommen. Denn machen wir uns mal nichts vor. Ganz abgesehen von dem Problem einem Arbeitgeber erklären zu müssen wieso man zweimal in der Woche in Koblenz antreten muss, ist ein reguläres Arbeitsleben mit dieser Termindichte und der zu erwartenden Verfahrenslänge einfach nicht vereinbar. Ein Neubeginn des Prozesses bedeutet also in der Regel auch jedes Mal wieder den Jobverlust.
Aber wir wollen nicht klagen. Wir wissen, daß der Preis hoch sein wird und das Verfahren uns wohl noch geraume Zeit begleiten wird. Wir gehen so oder so mit den sinnbildlich erhobenen Fäusten auch in eine dritte Runde, wenn es nötig sein wird. Aufgeben war nie eine Option und wird es für uns auch nicht werden.
Ob auf der Straße oder im Gerichtssaal: Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht!